Anmerkungen zur Studie “Relevanz der Medien für die Meinungsbildung” der BLM (Kommentar 2010)
Gábor Paál

“Das Fernsehen hat unter allen Medien das größte Gewicht bei der Meinungsbildung”. So wurde die jüngste Studie der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien in den Medien zusammen gefasst.
Die vorgestellten Zahlen müssten Radiomacher beunruhigen: Das Fernsehen trägt demnach zu 39 % zur Meinungsbildung bei, gefolgt von der Tageszeitung (26%), während Hörfunk (17 %) und Internet (13 %) scheinbar eine vernachlässigbare Rolle spielen. Das jedenfalls sind die Zahlen, die als Zusammenfassung in die Öffentlichkeit getragen werden.

– Siehe auch: Radio – Geschichte einer falschen Bescheidenheit –

Sieht man sich die Studie genauer an, ergibt sich dagegen ein wesentlich differenzierteres Bild, in dem diese Zahlen auf methodisch sehr fragwürdige Weise zustande gekommen sind, während in Wirklichkeit das Radio deutlich besser wegkommt. So liegt der Anteil der „informierenden Mediennutzung“ (Frage: „Haben Sie gestern Fernsehen [Radio, Tageszeitung, Internet…] genutzt und dabei Informationen über das Zeitgeschehen … gelesen/gesehen/gehört?„) beim Fernsehen bei 62%, beim Radio bei 47% und bei der Zeitung bei 42%, während das Internet nur einen Anteil von 19% aufweist. Eine andere Frage an die 2000 ausgewählten Testpersonen lautete: „Wenn Sie sich über das Zeitgeschehen … informieren wollen, welches Medium ist Ihnen da am wichtigsten?“. 43% antworteten „Fernsehen“, 28% nannten die Tageszeitung, 15% das Internet und nur 9% das Radio als wichtigstes Medium. Das klingt zunächst tatsächlich entmutigend.
Hier aber wird nun deutlich, wie die Forscher zu den Zahlen gekommen, die als „Ergebnis“ in den Medien verbreitet wurden:
► Sie haben Äpfel und Birnen zusammen gezählt. Die Rechnung lautete: Marktanteil an der „informierenden Mediennutzung“ plus Prozentangaben auf die Frage nach der „Wichtigkeit“ geteilt durch 2. Beispiel Fernsehen: Die 62% entsprechen, gewichtet mit der Tagesreichweite einem Marktanteil von 35%. Also wird gerechnet: (35% + 43%)/2 = 39 % Einfluss zur Meinungsbildung). Methodisch ist das mehr als schlampig: Seit wann gewichtet man eine Zahl, indem sie zu einer anderen addiert? Besonders absurd erscheint diese Addition, weil in der ersten Frage (nach der informierenden Mediennutzung) Mehrfachnennungen möglich waren, in der zweiten (nach dem „wichtigsten Medium“) dagegen nicht.
► Die Fragen sind viel zu undifferenziert. Die meisten Menschen, die sich über das Fernsehen informieren, nutzen es dennoch überwiegend zu anderen Zwecken (Z.B. sehen sie die Tagesschau und hinterher den Tatort…). Die Forscher haben jedoch in die Berechnung des Marktanteils der „informierenden Mediennutzung“ die Tagesreichweite einbezogen, die sich aber keineswegs nur auf die informierende Mediennutzung bezieht. Auch das ist unsauber.
► Transfereffekte (also von Zeitungen und Radio generierte Informationen, die dann in Fernsehen und Internet Einzug finden) werden nur am Rande ermittelt und fließen in die weiteren Berechnung nicht mit ein.
►Fragwürdig erscheint auch die Fragestellung „Wenn Sie sich … informieren wollen, welches Medium ist Ihnen am wichtigsten?“ Sie berücksichtigt nicht die spezifische Wirkungsweise des Radios. Das Radio ist schließlich das einzige Medium, das „nebenbei“ konsumiert werden kann, über das man mit Themen konfrontiert wird, mit denen zu befassen man sich bei einer Zeitungslektüre nie die Zeit nehmen würde. Die meisten Menschen schalten das Radio nicht zur gezielten Information ein – und dennoch werden sie informiert. Und sie bekommen Anstöße, sich mit Themen zu beschäftigen, die sie dann in den anderen Medien weiter verfolgen.
Der nächste Fehler der BLM-Studie (und vieler anderer): Sie leitet die Wirkung aus der Reichweite ab. Doch eine Popwelle wie SWR3 mag zwar zehnmal so viele Hörer haben wie SWR2 – vergleicht man die Resonanz auf einzelne Berichte (Rückmeldungen von Hörern, aber auch die Zahl der Podcast-Abrufe der informierenden Berichte) kehren sich die Verhältnisse um. Dass hohe Reichweiten mit niedrigem Aufmerksamkeitsgrad korrelieren, wissen die Medienforscher seit Jahren. erfassen (Ekkehardt Oehmichen, Aufmerksamkeit und Zuwendung beim Radio hören, Media Perspektiven 3/2001)
Problematisch ist, dass die BLM mit ihrem fragwürdigen Modell ihrerseits einen “Beitrag zur Meinungsbildung” leisten will. Die eigene Methodik soll zum Maßstab für politisches Handeln werden. Die – wie gezeigt: ziemlich willkürlich – ermittelte Kenngröße soll, so heißt es, dem Gesetzgeber helfen, die Meinungsmacht einzelner Unternehmen zu ermitteln und “Schwellenwerte für die Vermutung von Meinungsmacht” zu definieren. Aber so geht das nun wirklich nicht.
Siehe auch: Radio – Geschichte einer falschen Bescheidenheit