Ein Modell auch für andere Organisationen?

In meinem Buch „Was ist schön? Die Ästhetik in allem“ habe ich vier Arten von Schönheit beschrieben – vier ästhetische Werte. Sie lassen sich auch auf Organisationen und Unternehmen übertragen (wobei dabei meist nur drei der vier Arten eine Rolle spielen – ich sage gleich, warum). Am leichtesten fällt es mir, das für ARD und ZDF zu beschreiben.

Zum einen, weil sie mir gut vertraut sind, zum anderen, weil im Gegensatz zu anderen Unternehmen ihr Auftrag öffentlich einsehbar ist. Was macht z. B. die ARD aus?

Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird u.a. im Medienstaatsvertrag beschrieben. Er beschreibt, welche Art von Angeboten ARD, ZDF und Deutschlandradio machen sollen sollen. Außerdem nennt er einige Prinzipien, von denen sie sich leiten lassen sollen – in der Berichterstattung und der Art, wie die Inhalte zugänglich gemacht werden sollen. Die Grafik versucht, dies zu visualisieren.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk aus ästhetischer Sicht
Der Auftrag von ARD und ZDF bewegt sich zwischen drei Grundwerten.

Was dagegen nicht explizit im Medienstaatsvertrag steht, sind die drei Bedürfnisse „Orientierung“, „Verbundenheit“ und „Inspiration“. Aber genau sie spannen den Raum auf, in dem sich der Auftrag bewegt – genau darum geht es hier.

Wer „Was ist schön?“ kennt, wird die dort beschriebenen O-, S- und K-Werte wieder erkennen. Wer es noch nicht gelesen hat: Dieses TEDx-Video fasst die vier Arten von Schönheit (und was Ästhetik in diesem umfassenden Sinn bedeutet) in einer Viertelstunde zusammen. Wer es schon kennt, einfach weiterlesen.

Die im Video verwendeten Symbole tauchen oben in der Grafik wieder auf.
Schönheit 1. Art beinhaltet Orientierung (im Buch: O-Werte)
Schönheit 2. Art Verbundenheit/Zugehörigkeit (im Buch: S-Werte)
Schönheit 3. Art Anregung/positive Herausforderung/Inspiration (im Buch: K-Werte).

Bei der Schönheit 4. Art ging es um elementarästhetische Prozesse – unmittelbare Reaktionen auf sensorische Reize. Die spielen zwar bei einzelnen Beiträgen eine Rolle – Filme und Podcasts wollen auch sensorisch gefallen. Aber sie helfen nicht, eine komplexe Institution zu beschreiben.

Ästhetische Werte als implizite Säulen von ARD und ZDF

Wenn man nun diese Werte auf die ARD anwendet, kommt man schnell zum Ergebnis, dass Orientierung und Inspiration durch das abgedeckt werden, WAS wir machen; Verbundenheit dagegen dadurch, WIE wir es machen.

Das habe ich unten abgebildet. Das WAS sind die konkreten (im Medienstaatsvertrag beschriebenen) Angebote. Ihr Wert bewegt jeweils irgendwo zwischen Orientierung und Inspiration: Nachrichten dienen primär der Orientierung, Kultur- und Unterhaltungsangebote der Inspiration.

Die WIEs wiederum entscheiden über die Bindungskraft: darüber, wie stark sich das Publikum mit dem ÖRR verbunden fühlt.

Golden Circle – aus Gründen etwas abgewandelt

Wer sich jetzt an den „Golden Circle“ erinnert fühlt, hat Recht. Es gibt da eine Beziehung. Nur mit einem Unterschied: Der gängige Golden Circle besteht aus konzentrischen Kreisen: Innen WARUM, dann WIE, und außen WAS. So wird das WAS dem WIE untergeordnet. Das fand ich nie ganz schlüssig, zumindest nicht allgemeingültig.

Ich habe deshalb eine andere Darstellung gewählt: Das WARUM bildet auch darin den Kern. Doch das WAS und das WIE berühren ihn gleichermaßen, nur von unterschiedlichen Seiten.

Um gleich auf ein paar Fragen einzugehen, die im persönlichen Austausch mehr mals kamen:

Warum steht da nicht nur „Meinungs-“, sondern auch „Weltbild-Bildung“?

Der Medienstaatsvertrag spricht in der Tat nur von freier Meinungsbildung. Und da jeder Meinung auch ein Weltbild zugrunde liegt, könnte das „mitgemeint“ sein. Nun hat aber der ÖRR gleichzeitig einen expliziten Bildungsauftrag. Er soll also auch Dinge vermitteln, die nicht sofort in eine „Meinung“ münden, sondern einfach dazu dienen, die Welt besser zu verstehen und eine Ahnung von bestimmten Zusammenhängen zu bekommen.

Was genau ist der Unterschied zwischen „Wissen“ und „Bildung“?

Der Medienstaatsvertrag kennt nur „Bildung“ – das Wort „Wissen“ taucht dort nicht auf. Bildung ist dort definiert als „Wissenschaft und Technik, Alltag und Ratgeber, Theologie und Ethik, Tiere und Natur, Gesellschaft, Kinder und Jugend, Erziehung, Geschichte und andere Länder“. Aber: Wer die „Bildungsangebote“ des ÖRR nutzt, würde in den seltensten Fragen „Bildung“ als Motiv dafür angeben. Gesucht wird: Wissen.

Deshalb: Was im Auftrag und für die Politik „Bildung“ ist, deckt sich weitgehend mit dem, was das Publikum unter „Wissen“ versteht und sucht.

Lässt sich das auf andere Unternehmen/Organisationen übertragen?

Als Methode ja, das Ergebnis wird immer ein anderes sein.
Darüber habe ich kürzlich mit einem Freund gesprochen, der eine kleine Marketing-Unternehmensberatung hat. Wir kamen zum Ergebnis, dass die vier ästhetischen Werte sich zum einen dazu eignen, die Angebote und Marken eines Unternehmens nach außen klarer zu positionieren. Zum anderen können sie auch – nach innen gerichtet – beim Corporate Branding helfen, als Identifikationsangebot für die Mitarbeitenden.

Die Seppeler-Gruppe hat das übrigens nach Erscheinen meines ersten Buchs Mitte der Nuller-Jahre auch schon mal gemacht und die ästhetischen Werte auf ihre Betriebskultur übertragen. Das war damals ein Projekt mit der Uni Bielefeld. Die Resonanz war damals sehr positiv.

Ihr könnt es ja mal im Kopf für Eure Organisation durchspielen und ausprobieren. Wer sich dazu austauschen möchte: Schreibt mir gerne eine Nachricht.