Immanuel Kant wird 300. Bekanntlich hat er sich auch zu Fragen der Schönheit ausgelassen. Ist das noch relevant? Teils, teils. Versuch einer Antwort in 5000 Zeichen.

Kant definierte Schönheit in seiner „Kritik der Urteilskraft“ als „interesseloses Wohlgefallen“. Das ist durchaus noch brauchbar. Denn darin steckt zum einen das „Gefallen“ – was bedeutet: Schönheit ist eine Empfindung, sie entsteht erst im Prozess des Gefallens – sie ist keine Eigenschaft der Dinge, wie die Endsilbe „-heit“ suggeriert  (logisch, sonst würden uns nicht unterschiedliche Dinge gefallen).

„Interesselos“ – heißt was genau?

Mit „interesselos“ meinte Kant übrigens keinesfalls, dass wir uns für schöne Dinge nicht „interessieren“ würden, sondern dass sie für uns keinen unmittelbaren Nutzen haben. Er verwendete „Interesse“ also im Sinne von „Ich habe ein Interesse daran, dass …“. Kant grenzte so das Schöne vom Angenehmen und vom „vernünftig“ Guten ab. Wenn uns etwas gefällt, weil es angenehm oder vernünftig ist, sei das mit Interesse verbunden. Schön sei nur, was uns ohne dieses Interesse gefällt, eben: um seiner selbst willen.

Wie Kants „interesselose Wohlgefallen“ weiterentwickelt wurde

Diese Definition von Schönheit gilt nach wie vor, allerdings wurden die Definitionen mit der Zeit präziser. Der Philosoph George Santayana etwa machte Schönheit an drei Merkmalen fest: „Beauty […] is value positive, intrinsic and objectified“, also mit ei­ner positiven Bewertung verbunden („gefällt mir“), intrin­sisch (ein anderes Wort für „interesselos“ bzw. „um seiner selbst willen“) und objektbezogen.

Das bedeutet: Schönheit knüpfen wir immer an ein Objekt, an ein „Etwas“ – ein Gesicht, eine Landschaft, eine Situation, eine Sinfonie. Das unterscheidet Schönheit vom einfachen Wohlfühlen. In meinem Buch zeige ich, dass man sogar noch ein weiteres Merkmal hinzunehmen kann: Schönheit ist an Bewusstheit geknüpft: Wir wissen zwar nicht immer, warum uns etwas gefällt, aber wir können immer sagen, was uns gefällt und dass es uns gefällt. Wenn wir etwas schön finden, ist das immer ein bewusstes Urteil – übrigens einer der wesentlichen Unterschiede zwischen Schönheit und „Attraktivität“.

Aber zurück zu Kant: Schönheit als „interesseloses Wohlgefallen“ zu verstehen war wegweisend – auch wenn wir sie heute noch präziser fassen können. In einem anderen Punkt aber gilt Kant heute als überholt:

Kant und das „Erhabene“

Kant lebte in einer Zeit, in der man noch viel über das „Erhabene“ nachdachte. Und das stellte Kant dem „Schönen“ gegenüber. Das Erhabene bezeichnet etwas, was aufgrund seiner eindrucksvollen Größe über uns – und unser lokales und endliches Dasein – hinaus­weist. Für Kant bildete das Erhabene eine eigene Dimen­sion neben der Schönheit. Das Erhabene gefalle zwar auch – aber nicht ein­fach so, sondern nachdem zunächst das Gefühl der Ohnmacht und Unter­le­genheit überwunden werde. Es gehe also mit einem Gefühl der Ehr­furcht einher. So sei der Anblick des weiten Ozeans erst einmal nicht erhaben (geschweige denn schön), sondern er­schreckend.

Sein Anblick ist gräßlich; und man muss das Gemüt schon mit man­cherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschau­ung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist.

Immanuel Kant

Kant lehnte sich hier an den britischen Philosophen Edmund Burke an, der das Erhabene mit Gefühlen von Ehrfurcht und Achtung, aber auch Schre­cken in Verbindung bringt.

Wie schön ist das Erhabene?

Soweit ok. Doch wenn es am Ende gefällt, warum sollte man es dann nicht eben doch schön nennen? Das Gefühl des Erhabenen, sagt Kant, gehe mit einer „Bewegung des Gemüts“ einher, während Schönheit in „ruhi­ger Kontemplation“ erlebt wird. Davon sind wir heute ganz weg. Wir finden ja gerade auch Dinge schön, weil sie unser Gemüt bewegen (ein berührendes Gedicht, eine mitreißende Rede, ein bewegender Film). Selbst der aus Kants Sicht „grässliche“ Ozean ist heute ein beliebtes Fotomotiv, bevorzugt mit Sonnenuntergang. Das gilt zwar durchaus auch, weil der Anblick des Ozeans mit „mancherlei Ideen angefüllt“ (Sehnsucht, Romantik, Weite, Tiefe) ist – aber das gilt fast immer, wenn wir etwas schön finden: Wir haben Assoziationen, wir verbinden etwas mit dem schönen Objekt.  

Das Erhabene vom Schönen abzugrenzen, ergäbe nur Sinn bei einem sehr reduzierten Schönheitsbegriff, der alle Zeichenfunktionen und alles emotional Bewegende ausschließt. Schon der Begründer der psychologischen Ästhetik, Gustav Theodor Fechner, konnte dem nicht folgen und fragte, ob nicht der Sternenhimmel oder eine gotische Kathedrale gerade wegen ihrer Erhabenheit schön seien? Oder – so könnten wir heute ergänzen – der Blick auf die Erde aus dem Weltall?

Zwar spielt die Idee des Erhabenen in der philosophischen Ästhetik bis heute eine Rolle. Im­plizit oder explizit wird es dabei aber immer als ein Aspekt des Schönen verstan­den, nicht als etwas Eigenes. Sorry, Immanuel!