Endlich sagt es mal jemand! Die NOZ findet: Das SWR2 Forum ist die mit Abstand beste Talksendung im deutschen Radio. (Nachtrag: Eine Woche später kam die NOZ auch zum Ergebnis, dass SWR2 und BR2 die besten Feature sendet. Besonders hat mich gefreut, dass sie Marionette Mappus – eine Sendung von Simone Hamm – zur „vielleicht besten Radio-Dokumentation“ erklärte. Die war wirklich gut. Ich weiß es: ich hatte das Vergnügen, sie redaktionell zu betreuen)
Als jemand, der etwa ein Drittel seiner redaktionellen Arbeitszeit dem „SWR2 Forum“ widmet, freut mich das Urteil der NOZ natürlich. Ich fürchte nur, so wie es formuliert war, könnte das Lob den trügerischen Eindruck erwecken, wir würden intellektuelle Abseitigkeit kultivieren, und verschrobene Unverständlichkeit wäre der Markenkern der Sendung.
Mir wären durchaus noch andere Merkmale eingefallen, etwa: Dass im Forum sachlich, nicht parteipolitisch diskutiert wird; dass es bei der Auswahl der Gäste Kompetenz vor Prominenz geht (was kompetente Prominente nicht ausschließt). Und auch die Souveränität bei der Themenwahl. Nie geht es darum, so schnell wie möglich auf ein „Top Thema“ aufzuspringen und sagen zu können „Die Geiselnahme hat auch bei uns stattgefunden“. Entscheidend ist vielmehr immer die Frage: Lässt sich darüber 45 Minuten lang substanziell diskutieren – oder nur spekulieren? Und wenn sich eine Sendung lohnt, wann wäre der beste Zeitpunkt dafür? Bei großen diskussionswürdigen Ereignissen – etwa wenn die EU den Friedensnobelpreis bekommt – greifen wir das Thema noch am selben Nachmittag auf. Bei anderen empfiehlt es sich, noch ein, zwei Tage warten, wenn über die Sache mehr bekannt ist.
Was ich an der Sendung aber auch schätze: Sie erlaubt es, über wissenschaftsnahe Themen zu diskutieren. Haben Sie schon mal eine richtige Fernseh-Debatte über Geothermie, Geoengineering, ärztliche Diagnostik, Wissenschaftsskepsis, Gedächtnisforschung, Uni-Rankings, über die Entstehung der Kunst oder Primatenrechte erlebt? Im Forum ist das Alltag. Die Sendung leistet damit etwas, was auch in den Empfehlungen der Akademien als Defizit der Wissenschaftskommunikation erkannt wurde: In den Medien, heißt es dort, gelte das „Primat der Wissenschaftspopularisierung“, ein „Wissenschaftsjournalismus des Staunens“. Die Medien würden das Publikum aber dort alleine lassen, wo Wissenschaft politisch wird und Kontroversen produziert. Auch die kritische Beobachtung des Wissenschaftssystems als solchem werde vom Journalismus kaum wahrgenommen. Das Forum insofern eine Nische sein. Aber es zeigt: In einem gewissen Rahmen sind diese Dinge durchaus möglich.
Die Arbeit im „Forum“ ist manchmal auch erhellend in Bezug auf Experten. Es gibt Interviewpartner, die von anderen Wellen regelmäßig als „eine(r) der wichtigsten Experten auf diesem Gebiet“ angerufen werden. Einige dieser „wichtigsten Experten“ sind in Wahrheit ziemliche Außenseiter, klingen aber kompetent, verkaufen sich gut, können markig reden und knackige 20-Sekunden-Statements geben. Doch in einer tiefergehenden Diskussion oder gar in der Auseinandersetzung mit anderen Experten – kurz: im SWR2 Forum – kann der erste Eindruck dann schnell verblassen.
(Wohlgemerkt: Eine hochkarätige Forscherin muss nicht auch die geeignetste Interviewpartnerin sein. Und es ist nichts dagegen zu sagen, wenn sie das Kommunizieren einer Kollegin überlässt, die vielleicht in der Forschung weniger leistet, dafür aber einen breiten Überblick und ein entsprechendes Verständnis für die Bedürfnisse der Medien hat und etwas von knackigen 20-Sekunden-Statements versteht. )
Es stimmt schon: Über Wissenschaft kann man oft nicht in der gleichen Weise diskutieren wie über Politik. Das Rezept. „Ich lade eine Pro- und eine Contra-Stimme ein“ funktioniert nicht, wenn es ums Klima oder um Homöopathie geht. Entweder es wird schnell sehr kompliziert und voraussetzungsreich – oder man läuft Gefahr, den unseriösen Eindruck zu erwecken, alle Meinungen zu diesen Themen seien irgendwie gleichberechtigt.
Doch kann die Konsequenz sein, dann gar nicht über solche Fragen zu diskutieren? Was die Folgen wären, sehen wir ja: Immer wieder tauchen in der deutschen Medienlandschaft Figuren auf, die ich einmal „Professor Querdenker“ genannt habe. Herr Querdenker hat ein Buch geschrieben mit einer interessanten These, die im Widerspruch zur gängigen Lehrmeinung steht. Die These klingt provokant, hat einen Neuheitswert. Herr Querdenker kann auch noch überzeugend und allgemeinverständlich reden und hat möglicherweise einen Professorentitel. Kurz, er erfüllt alle Voraussetzungen, um sich Gehör zu verschaffen – nicht in Fachkreisen, wohl aber in den Massenmedien. Er wird in Talkrunden eingeladen und gibt Interviews, zunächst zu seiner These, dann aber – weil er so schön reden kann – zu immer mehr Themen, zu denen er auch immer mehr Bücher schreibt.
Und niemand scheint ihm zu widersprechen. Zwar machen sich Fachwissenschaftler über Herrn Querdenker lustig und regen sich über die Medien auf, die ihm ein Forum bieten – aber diskutieren wollen sie mit ihm nicht („Das wäre zu viel der Ehre“) und in den Medien gibt es ja ohnehin nur wenige Gelegenheiten. Denn dort haben Wissenschaftler fast immer Solo-Auftritte – in der Rolle des Auskunft gebenden „Experten“. Mal ist es Prof. Querdenker, mal ist es sein Fachkollege aus der Mainstream-Fraktion, aber selten treffen beide aufeinander.
Vielleicht hat Herr Querdenker ja Recht. Vielleicht ist er auch ein Schaumschläger. Vielleicht ist seine Kritik an der Lehrmeinung im Kern berechtigt; aber sein Gegenentwurf gerät allzu mächtig und hat ebenfalls Schwachpunkte. Vielleicht entwirft er ein in den Grundzügen richtiges Bild, schlampt aber bei den Details und macht sich dadurch angreifbar. Mir ist im Laufe der Zeit jede dieser Varianten mindestens einmal begegnet, in völlig unterschiedlichen Fachgebieten.
Auch solche Diskussionen konnten wir im Forum schon das ein oder andere Mal aufgreifen. Die Abbildung solcher Fachdebatten in Form einer Radiodiskussion ist nicht immer leicht. Aber meine Erfahrung ist: Mit den richtigen Gästen und einem guten Konzept kann es gehen. Die Vorbereitung kostet mehr Zeit als andere Sendungen. Aber es macht Spaß.
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