Warum Klimawandel kein Umweltproblem ist

Gabor Paal

Bevor unsere frühen Vorfahren das Geld erfunden hatten, haben sie mit Naturalien gehandelt. Doch kaum kam das Geld ins Spiel, wurde es zur zentralen Währung, auch in den Köpfen – und das hat sich bis heute gehalten.

Die Nachrichtenlage ist eindeutig: Täglich hören wir: Die neuesten Arbeitslosenzahlen, die Steuerschätzung, die Wachstumsprognosen, den ifo-Geschäftsklimaindex – doch eine für die Menschheit mindestens ebenso wichtige Zahl ging kürzlich im allgemeinen Schuldenkrisen-Alarm völlig unter: Die Entwicklung der Treibhausgasemissionen. Das US-Energieministerium gab vor zwei Wochen die neuesten Zahlen bekannt: Nicht nur stößt die Welt mehr Treibhausgase aus als je zuvor, die Emissionen nehmen auch schneller zu als erwartet. Nur wenige Medien haben darüber berichtet, und wenn, dann nur in ihren Wissenschafts- und Umweltsparten. Warum nicht in den politischen Hauptnachrichten? Ich fürchte, weil die meisten von uns den Klimawandel noch immer als Umweltproblem betrachten. Ein Missverständnis. Der Klimawandel ist kein Umweltproblem. Es ist ein Zukunftsproblem der Menschheit. Das ist mehr als Wortklauberei. Zum Vergleich: Wenn wir vor das Wort Bürger eine Vorsilbe setzen und vom ausländischen Mitbürger sprechen, drückt sich darin aus, dass es eben doch nicht „so’n richtiger“ Bürger ist, und genauso klingt Umwelt nach etwas irgendwo da draußen, nach etwas, was jenseits der unmittelbaren menschlichen Sphäre angesiedelt ist, was die eigentliche Welt nur um-gibt. Doch Klimapolitik ist so wenig ein Umweltproblem, wie Kriege, Hunger und Finanzkrisen. Klimaschutz ist ein Welt-Problem, genauso wie Wassermangel, die Zerstörung von Böden und Wäldern oder die Anreicherung von Giften in der Nahrungskette.

Das Grundgesetz ist da schon weiter, es schützt nicht die Umwelt, sondern in Artikel 20a: die natürlichen Lebensgrundlagen. Das trifft es schon besser. Denn wie unsere Vorfahren wirtschaften wir noch immer mit Naturalien, ohne Boden, Wasser, Luft und Wälder würde die Wirtschaft zusammenbrechen.

Warum also reden wir noch von Umwelt? Das Wort ist so verführerisch kurz, es hat nur zwei Silben und ist scheinbar so anschaulich. Und im ursprünglichen Zusammenhang hat der Begriff ja auch gepasst. „Umwelt und Innenwelt der Tiere“ hieß das Buch, mit dem im Jahr 1909 Jakob Johann von Uexküll das Wort populär machte. Es hatte Power. Die Umweltbewegung ist entstanden aus dem Protest gegen die Vergiftung und Verschmutzung der – äußeren – Natur.

Die Karriere von Greenpeace begann mit dem Kampf gegen den Walfang und die Dünnsäureverklappung in den Meeren. In dieser Zeit war der Umweltbegriff extrem wichtig, um die Öffentlichkeit für den Schutz der Natur zu sensibilisieren. Das ist gelungen. Wir haben heute Umweltminister, Umweltdezernenten, Umweltphilosophen und Umweltjournalisten, und es ist ja verständlich, dass all diese Umweltverständigen auch die ersten waren, die kapiert haben, worum es beim Klimawandel oder bei der Überfischung der Meere wirklich geht. Seitdem sind all diese Probleme in den Umweltressorts angesiedelt.

Heute ist das ein Problem, schon allein deshalb, weil die relativ wenig zu sagen haben. Die Umweltminister dieser Welt können beschließen, was sie wollen, die Weichen für das Weltklima stellen die Wirtschaft und die internationale Wirtschafts- und Handelspolitik, und so lange die Leute dort andere Dinge spannender finden, tut sich gar nichts. Der leitende Redakteur eines großen Informationsmediums erklärte mir neulich: Wirtschaftsthemen sind Pflicht, Umweltthemen sind Kür, kurz, sie schaffen es nur dann in die Nachrichten, wenn der Euro gerade mal nicht kriselt. Als ob Klimawandel und Ressourcenverschwendung keine Wirtschaftsthemen wären – immer geht es um künftige Wohlstandseinbußen. Der ungebremste Ausstoß an Treibhausgasen ist nichts als eine permanent wachsende ökologische Neuverschuldung. Mit dem Unterschied, dass die Gläubiger in diesem Fall entweder kleine Kinder oder arme Schlucker sind, auf jeden Fall schwache Verhandlungspartner, die keine Bedingungen stellen können und nie die Chance haben werden, all die Naturalien zurück zu fordern, die wir uns von ihnen genommen und aufgezehrt haben. Darum geht es in erster Linie. Vergessen wir also die Umwelt. So wichtig der Begriff einst war, richtet er heute mehr Schaden an als er weiterhilft.